Konjunkturgespräch: Steirer sind Vorbild des Wandels

26.04.2013

Das „Erfolgsmodell Österreich“ wächst wirtschaftlich das zwölften Jahr hintereinander schneller als die EU-15. Gleichzeitig wird die Dynamik von der gesamteuropäischen Krise gebremst. So lautete der Tenor der Wirtschaftsexperten beim diesjährigen Konjunkturgespräch der Raiffeisen-Landesbank Steiermark, dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) und der Industriellenvereinigung. Gute Noten gibt es für den Wirtschaftsstandort Steiermark.

„Wir befinden uns an einem Wendepunkt in Veränderungszeiten. Zunehmend kürzere Prognosezeiträume erfordern ebenso kurze Planungsintervalle und stellen Wirtschaftsforscher und Entscheidungsträger vor neue Herausforderungen. Wirtschaft und Politik müssen sich wieder mehr verzahnen und zeitnah lückenlose Strategien für die Zukunft entwickeln. Das Konjunkturgespräch ist aktueller denn je“, formuliert RLB-Generaldirektor Markus Mair zum Auftakt der hochkarätigen Expertendiskussion Mitte April im Grazer Congress.

WIFO-Chef Karl Aiginger spricht von „Österreich als Erfolgsmodell“: Die heimische Wirtschaft wächst das zwölfte Jahr hintereinander schneller als die EU-15, die Beschäftigung steigt kontinuierlich. Das Land ist unter den "Top 5" der höchsten europäischen Pro-Kopf-Einkommen und die heutige Generation doppelt so reich wie die Vorgeneration. Um den gemäßigten Wachstumspfad beibehalten zu können, fordert Aiginger eine entschlossene Reformpolitik: „Der Reformstau muss gelöst werden, daran führt kein Weg vorbei.“

Als diesbezügliches Vorbild könnte die Steiermark dienen, so der WIFO-Experte: „Die Steiermark kann ein schnelleres Wachstum und eine höhere Beschäftigungsquote als Gesamtösterreich vorweisen.“ Das Bundesland verfüge über eine stabile industrielle Basis und ausreichend Dynamik. Der vollzogene Strukturwandel sei langfristig erfolgreich. Nachholbedarf ortet der Fachmann in puncto Humankapital und Innovation: „Sowohl im Bereich der Tertiärbildung, also Ausbildung nach der Matura, als auch im Bereich der High-Tech-Patente ist noch erhebliches Potenzial vorhanden.“ Auch die Entwicklung der angrenzenden Nachbarstaaten sei weiterhin kritisch zu beobachten.

Radikaler Reformwille ist für Aiginger EU-weit das Schlüsselwort: „Wir brauchen tiefgreifende Strukturreformen und ein zielgerichtetes Krisenmanagement im gesamteuropäischen Raum. Die EU muss dynamischer, sozialer und ökologischer werden.“ Um einen derartigen Weg des Wandels vorzuzeichnen, wurde kürzlich vom WIFO und 32 Partnern das Projekt "WWWforEurope" ins Leben gerufen. Auch an Landes- und Bundespolitik adressiert Aiginger – bei allem Lob für den Standort – klare Hausaufgaben: Kritisch seien die Themen Strukturreformen, Budgetkonsolidierung, Ungleichheiten, Kinderbetreuung, Bildung, Prävention und Zukunftsinvestitionen: „Hier herrscht Handlungsbedarf! “

"Europa braucht ein neues Geschäftsmodell!" Zu dieser Schlussfolgerung gelangt Christian Helmenstein, Chefökonom der österreichischen Industriellenvereinigung. „Europa hat eine halbe Dekade an Wirtschaftswachstum verloren, es muss seine Expansionsgeschwindigkeit wieder deutlich beschleunigen.“ Erfolgen könne das nur über die Trias: Investition, Innovation und Reformeifer. „Transferleistungen müssen zugunsten dieser Schwerpunkte zurückgefahren werden!“ Das gelte auch in Österreich, dessen hohes BIP und niedrige Arbeitslosenquote vor allem die Vergangenheit reflektierten. Die Politik sei gefordert, die für die Erhaltung des Wohlstandes erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen: „Investoren entscheiden heute über die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Österreich.“

Ebenso zu Erneuerung mahnt Helmut Becker, Ex-BMW-Chefvolkswirt und Gründer des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation München (IWK). Für die Antwort auf die Frage „Zwischen Reindustrialisierung und Systemkrise – Wie tief greift der derzeitige Wandel?“ nimmt er Anleihen beim russischen Wirtschaftswissenschafter Nikolai Kontratjew, der die Entwicklung der Wirtschaft in Wellen von rund 50 Jahren beschrieb. „Wir sind nun am Ende eines Zyklus‘: Nach 50 Jahren Wachstum ist die sogenannte ‚alte Welt‘ mitten in einer strukturellen Wachstums- und Innovationskrise.“ Krisen von Banken und Finanzsystemen, in puncto Staatsschulden und der Konsolidierungspolitik seien die logische Folge. Bei zunehmend ungleicher Vermögens- und Einkommensverteilung zeige sich die System- und Lösungsschwäche der parlamentarischen Demokratie: „Die Reduzierung der Staatsdefizite ist zwingend – es sein denn, wir wollen den Zusammenbruch des Kapitalismus.“

Neben handlungsunfähigen Regierungen auch in Beckers Kritik: der „Otto Normalverbraucher“. „Der Wähler muss sich entscheiden, vertraue ich einer kurzfristigen populistischen Maßnahme oder ist es Zeit für langfristig wirksame, wenn auch unpopuläre Schritte?“ Für Österreich und Deutschland führe der Weg aus der Systemkrise über das Wissen, so Becker: „Diese Länder sind Wissensstandorte: Qualifikation, Motivation, Kreativität und Flexibilität sind die Erfolgsparameter der Zukunft.“

Mit rund 600 Besuchern verzeichnete das Konjunkturgespräch Steiermark 2013 erneut steigendes Interesse. RLB-Generaldirektor Markus Mair: „Ein erfreulich deutliches Zeichen, das den Bedarf an derartigen Plattformen bestätigt.“ Seit 1989 laden die Raiffeisen-Landesbank Steiermark (RLB) und das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) zum „Konjunkturgespräch Steiermark“: Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien informieren sich über Expertisen und Prognosen für heimische und internationale Wirtschaft.